Rohheit der Nacht oder - der Wendepunkt

Wen sollte es schon kümmern?
Die zerknitterte Lederjacke, die längst ausgewaschene schwarze, eng anliegende Jeans - alles Reliquen, älterer, besserer Tage.
Den vierten, fünften, achten Drink geordert, es war wie immer, nur ohne etwas.
In jugendlicher Naivität war das Sitzen an einem Pub-Tresen, in wohler Wärme, warmen Lichtern und umgeben von warmen,
lachenden Menschen, das non-plus-ultra der Kummerbekämpfung gewesen.
Doch er betrachtete alle um sich herum, und es verschaffte keine Befriedigung - es war nicht da, was fehlte.
Gin-Tonic, Jägermeister, Bier.
Alles, was das Herz begehrt und doch abstößt, es war alles da. Das Reden mit Fremden, Akademikern, Menschen, vielen menschen aus
der Arbeiterklasse, es brachte kurzweilige Ablenkung, doch nicht die versprochene Wirkung.
Der Geruch des alten Pub-Holzes weckte nicht die nostalgisch alles andere überscheinenden Gefühle, die es hätte sollen.
Ja, ja, ja verdammt, alte Scheißpubs sind wunderbar, aber was soll's?
Es nützt nichts, was soll man hier?
Draußen stehend, keuchend vor Enttäuschung, das alte Bild, das alte Bild eines verlassenen Mannes - oh wie erfreute ihn der Gedanke,
sein Bild könne ein Meisterwerk sein: ein verlassener Mann, 30-Jährig, geschunden und verwahrlost. Was für Interpretationsfreiraum!
Was hätte ein großer Künstler daraus für ein Bild machen können?
Es wäre sicherlich in einer dieser unabhängigen Galerien aufgenommen worden, von denen er sowieso keine gesehen hatte, er hatte doch ohnehin kein Gespür
für diese Art von unterschwelliger Kunst. Und solang sich jetzt kein Maler vor ihn hocken würde, und ihn malen würde, so würde ihn der Gedanke
wahrscheinlich nicht für länger als 10 Sekunden lang fesseln.

Geschunden und getreten war er, und nun musste er auch noch in der Kälte stehen, der widerlichen Kälte, die selbst seinen alten Freund,
die original London-Lederjacke, durchdringt und sich eine Zigarette anzünden - wenn das Leben zuschlägt, dann soll man es sich
noch einmal so richtig von allen Seiten gönnen. Er sollte darüber einen Song schreiben, dachte er, er würde der Morrissey seiner
Generation werden damit, dachte er und lachte.
"Warum lachst du?"
Jeder Mensch, der diese Frage stellt, hätte verdient zu sterben, geschunden und getreten wie er war.
"Vielleicht hat nicht jeder gerade die Nacht seines Lebens, cunt?"
"Ein Morrissey also"
Er wollte antworten. Nicht nur antworten, schreien wollte er, sie anschreien, diese Fotze hatte doch keine Ahnung
Doch es fiel ihm nichts ein. Nichts, rein gar nichts. Was sollte er schon sagen, sie hatte ihn doch komplett enttarnt, ohne
mit ihm zu reden.
"Hast du Feuer?"
Hohn, es kam komplettem Hohn gleich, diese Frage.
Er blickte sie nicht an, würdigte sie nicht eines Blickes, traute sich nicht, sie anzuschauen.
Und während er von seiner Spähreise über die Altbaugebäude der Straße wieder zurückkam, erblickte er vor sich ein kleines Mädchen, eine kleine Frau
mit großen Augen, umgeben von schwarzen Rändern, mit einer Zigarette in einer zitternden hand.
Feuer.
Er zündete ihre Zigarette an, sie atmete es alles in sich ein. Rauch, Feuer, die Atmosphäre, die Kälte - und sie hustete nicht einmal.
Er zündete sich eine an, nahm einen Zug, brannte sie sich in seine Lunge und - hustete.
Ein schadenfroher Blick später, und seine Rechtfertigung, er sei krank, kalt, alt, ver-
Nein. Was geht es sie an?
Rauchergespräche, sagte sie, seien die ehrlichsten Gespräche. Gespräche, die Leben retten.
Sein Leben, sagte er, könne ohnehin nur von einer Person gerettet werden,
dann werde ich mein bestes versuchen, sagte sie.
Es war zu kalt, um zu lächeln.
Und sie blickte ihn an.
Und er erzählte, er erzählte von allem. Den guten Zeiten, den schlechten Zeiten, dem Streit wegen dem Erschrecken während des Films,
dem Streit wegen der Teppich-Sache, dem Sex wegen dieser zerbrochenen Rohrleitung, der Liebe trotz des fehlenden Geldes.
Das Unverständnis und die Hilflosigkeit, mit der man zurückgelassen wird.
Manche Menschen scheinen damit umgehen zu können, sagte er. Manche nicht.
Er sei einer von letzeren.
Banale Gespräche, Gespräche über das Leben betäubten alles Tote um die beiden herum.
Er erklärte, sie verstand. Er beschwerte sich, sie stimmte ein. Er weinte, sie tröstete. Er beschwerte sich wieder, sie stimme ihn zurecht.
Er gab auf, sie tröstete.
Er gab auf, sie erklärte.
Er gab auf, sie verstand.

Der Moment, der alles definiert - der Moment, in dem man merkt, dass es mehr als nur sich selbst gibt.
Dieser war gekommen, und dieser überwältigte ihn.
Mit jeder Träne, die sie unfreiwillig vergoss, mit jedem halbherzig vereiteltem Versuch, die Fassung zu bewahren, jeder weitere Schritt brach ihm das Herz etwas weiter.
Das Ende des Selbstmitleids und der Anfang des Mitleids, es musste so sein.
Er griff sie bei den Handgelenken.
Die Entschlossenheit in seinem Händedruck, in seinem Gesicht, in ihm
sie blickte auf, er blickte auf sie
und er küsste sie.
Der Kuss dauerte 30 Sekunden, 1, oder 2 Minuten, eine Stunde, oder ein Jahr, zu lang und leider viel zu kurz.
Als der Kuss vorbei war.
Das Klingeln der Kirchenglocken im Hintergrund. Die ersten Sonnenstrahlen am Himmel.
Sie blickte auf ihn, er auf sie, und beide - lächelten.
Und sie lächelten, und nichts war mehr klar.
Und - sie weinten.
Denn jetzt war klar - es war nur für heute nacht.
Und er ließ von ihren Handgelenken ab, und sie blickte ihm nicht mehr in die Augen.
"Viel Glück, Morrissey"
Sie blickten einander nicht mehr an, bevor sie in entgegengesetzte Richtungen gingen.
Und der Pub schloss pünktlich um 6.

Beauty of murder

Werde ich weinen oder lachen,
über die Ironie,
dass ich diejenigen verehre,
die sich selbst am meisten hassen?
Faszination hat kreiert, Faszination hat getötet.
Die Faszination hat mich übermannt.

O, siehe die Schönheit 
des tobenden Hasses in mir,
fressende Leidenschaft,
Dinge die ich nie habe tun wollen,
ich hätt' den Rausch ermorden sollen
ich hätt' im Rausch ermorden sollen.


- Madame Geneva

Einsamkeit der Freiheit

Mit nichts in meinen Manteltaschen bin ich auf meinem Weg zur Erlösung.
Und solang ich nicht das Mädchen gefunden habe,
das meine Sehnsüchtige sterben lässt,
werde ich die Einsamkeit der Freiheit in meinen stetig explodierenden Kopf regnen lassen.

Bin ich unglücklich?
Wer außer mir könnte das wissen?
Bitte, sagt es mir.


- Madame Geneva

Sehnsüchte und andere Laster

Ich bin der Sünder. Verdammt zum Verzicht.
Mir wurde beigebracht, was ich als falsch zu wissen habe, ich weiß es. Ich weiß ob der Frevel, die mich glücklich machen würde, ich weiß, ich werde mit dieser glücklichmachenden Frevel nie leben können, weil ich weiß,
dass ich wissen muss,
dass es eine Frevel ist.

O diese jungenhafte Leidenschaft in seinem erröteten Gesicht, sie tötet mich.
Sein adoleszenter Körper, er tötet mich.
O Mutter, der Verzicht,
er tötet mich.


- Madame Geneva